Ausstellungseröffnung

Ansgar Maria van Treeck - deserted rooms

Fri - 15. Sep. 2017 - 20:00


Mit Screenografie bezeichnet der Künstler Ansgar Maria van Treeck die Methode für seine farbintensiven Bilder, mit der in einem „Moment“ – Shot - eine ganze Filmsequenz im Bild digital festgehalten und analog abgebildet wird; bei dieser Form der Photographie, wird ein hochauflösender Film, der kräftige Farben enthalten muss, in einem dazu geeigneten Dateiformat mit Hilfe eines Codecs so eingesetzt, dass der Rechner „überfordert“ ist. Eine Transkodierung findet zwar statt, jedoch mit einem verblüffenden Ergebnis: Der Prozess kann, obwohl wir es mit mehreren Speicher- und Wiedergabemedien zu tun haben, dem Film auf DVD, der Graphikkarte, dem Computer/Monitor niemals wiederholt, jedoch gespeichert und abgebildet werden (in den vorliegenden Exemplaren auf Canvas aufgebracht). Es erscheint eine, nicht einem Gegenstand zuzuordnende Anhäufung von Pixeln, eine arbiträre Komposition, die, wenn sie nicht gespeichert würde, ephemer bliebe wie ein verstrichener Augenblick. Somit einzigartig ist sie postproduktiv nicht, wie wir es sonst von der digitalen Bildbearbeitung gewohnt sind, zu beeinflussen. Als Regisseur des „entscheidenden Augenblicks“ wird Ansgar van Treeck der Aufgabe der subjektiven Auswahl und Bildmanipulationen, die seinen vorangegangenen mit der Leica produzierten Photographien eigen sind, enthoben. Dies übernimmt die „Maschine“.

Gehen wir davon aus, „to screen“ bedeutet „überprüfen, durchleuchten, verdecken (im Sinne von to cover- bewahren), einbeziehen“, haben wir es hier mit einer weiteren Art von Aufschreibe/Speichersystem zu tun, das gleichzeitig durchlässig ist, auswählt, etwas in Erscheinung treten lässt und sichert. In dieser Gleichzeitigkeit von Dekonstruktion, Konstruktion, Wiedergabe und Speicherung wird ein Werk geschaffen, das Spuren und Fragmente des „Vorbilds“, des Vorproduzierten enthält (hier Filmsequenz, eines voran gegangenen konkreten Ereignisses). In seiner Erscheinung eröffnen sich jedoch anscheinend bisher verborgen gebliebene Räume, für, sich einer klassischen hermeneutischen Bildentzifferung entziehenden, unendlich möglichen subjektiven Rezeption des Betrachters. Diese der „vorbildlichen“ Produktion nachfolgenden (gemäß dem Grimmschen Herkunftswörterbuch, digitale Version der Universität Trier) kann ... „die Beziehung zwischen beiden eine ganz verschiedene sein...“, in der Bedeutung „...des Originals im Verhältnis zur Kopie, die sich nicht auf das genaue nachahmen beschränkt ...“, bildet sie nicht ab, sondern bringt ein „Anderes“ hervor. Haben wir es mit einer anderen Episteme in der Photographie zu tun? Nach der Nikomachischen Ethik zu Zeiten Aristoteles, dessen Ziel es war, zu erlernen, wie man „ein guter Mensch“ wird und wie man ein „glückliches Leben“ führt, sind Episteme (das theoretische Wissen) und Techne (das praktische Können) zwei der fünf Grundhaltungen der Seele, die zur Erfassung des „Richtigen“ benötigt werden. Die anderen Phronesis (sittliche, praktische Einsicht; Begreifen), Sophia (philosophische Weisheit) und Nous (intuitiver Verstand; geistiges Erfassen; Vernunft) könnten in diesem Fall dem Betrachter zugeordnet werden. In diese „Vollkommenheit“ hinein entfalten die Screenografien ihre Wirkung.

Für van Treeck ist dies die konsequente Fortführung seines Schaffens. Muten seine Bilder beispielsweise als eine Weiterentwicklung des Werkes Man Rays an (wie z. B. in dem 1923 erschienenen Kurzfilm „Le Retour a la Raison“, in dem wir es mit animierten Texturen und Rayographien zu tun haben), dessen Wirken van Treeck seit seiner Kindheit prägt, wird bei näherer Auseinandersetzung eher deutlich, dass sich im Werk van Treecks bereits (so Grimmsches Wörterbuch) „...die zeitliche Vorstellung in Vorbild...“ so ausgebildet  wird, dass ein „Vorangehendes“ (hier Man Rays Kurzfilm) auf ein Nachfolgendes (Screenografie) hinweist (präfiguratio) und sich hier in der Technik der Screenografie die Korrespondenz mit dem frühen Werk Man Rays wiederholt. In diesem Spannungsfeld hat er seine Techniken weiterentwickelt:  In der Verbindung (Übereinanderlegung)  einer Screenografie mit einer seiner Architekturphotografien (ebenfalls unwiederbringliche Zustände des Bauwerks, die in der Fertigstellung zwar vorhanden, jedoch nicht ersichtlich sind) schreibt sich die Screenografie  ein in die Rohheit der Wände der Architektur und lässt wie eine zweite Haut das Wesen beider, des Raumes und der Spur, durch die unterschiedlichen Schichten und Ebenen ans „Licht“ kommen. Transformation performativ, forschend, transparent - Innen und Außen entledigen sich des Raumortes.

Haben wir es mit einem wichtigen künstlerischen Hinweis auf die Ablösung des hierarchischen und binären Denkens und Verstehens zu tun, in der das Zeit- und Raumkontinuum mit Hilfe der technischen Funktion der Zeitachsenmanipulation der Speichermedien zugunsten der Gleichzeitigkeit von Sequenzen, Schichten, Analogien und Daten aufgehoben wird? Vielleicht geben diese in ihren Abbildungen geschaffenen Räume Hinweise auf Utopien oder Heterotopien, im Universum oder in uns, auf jeden Fall geben sie Gelegenheit, weiterhin die Zeichen für ein glückliches Leben zu entziffern. Photographie geht in eine neue Ebene.

Sabine Hegel, 2014